The Spider and the Fly
Spielprinzip Pac-man
Von den Szenerien, die sich hinter den Fenstergittern und vor der Kulisse des Meeres abspielen, können wir nur kleine Ausschnitte erspähen: freudige, zärtliche, mitunter erotische Gesten wie das Streicheln eines Handrückens mit einer Feder, lustvolle Luftsprünge, ein Beinpaar – ist es gespreizt? Oder gehören die Beine unterschiedlichen Körpern an? Die Szenen der Peepholes (2017) sind reduziert und wirken in ihrer Konzentration wie Schlüsselszenen gleich mehrerer Geschichten. Kaum entspinnt sich eine Narration, kann sich das Drehbuch unserer Vorstellung durch ein neu entdecktes Detail wieder vollkommen verändern.
Die beiden Stuhlskelette der Arbeit Luv und Lee (2017) mit ihren rundlichen, an Körper erinnernde Formen und in das Holz eingeschriebenen Gebrauchsspuren wurden behutsam ausgewählt. Wenige Eingriffe und ihr besonderes Zusammenspiel von Rhythmus, Musikalität und taktilen Qualitäten haben sie zu einer poetischen Skulptur werden lassen, die ein Eigenleben zu entwickeln scheint. Sind die beiden sich langsam hin und her wiegenden Stühle platzsparend aufeinandergestapelt oder zärtlich ineinander verschlungen? Handelt es sich um ein Liebesspiel oder – vor dem Hintergrund der einsamen Meereswogen – doch nur um knarzende Stühle auf einem sich durch die Wellen bewegenden Schiff? Die Arbeiten von Celina Gonzalez Sueyro spielen mit unterschiedlichen Assoziationen und möglichen Bedeutungsebenen. Sie zelebrieren den Zustand der Uneindeutigkeit, der das Potenzial der Möglichkeit in sich birgt und unsere Vorstellungskraft herausfordert.
In der Ausstellung The Spider and the Fly begegnen wir wiederkehrenden Mustern, Netzen und Strukturen, die für Orientierung, Halt und Struktur sorgen können, repräsentativen Zwecken dienen, andererseits gar Fallen darstellen. Für die Arbeit Ouverture Océane (2017) wurde eine der ersten Seekarten von 1311 des Kartographen Pietro Vesconte in einen kleinen Nähtisch aus Holz graviert. Sie zählt zum Ursprung der modernen Navigation und zu den frühesten Dokumenten, auf denen die Küstenlinien exakt wiedergeben und so Meere und Landmassen erschlossen wurden. Die Arbeit Pac-Man (2017) ist an den gleichnamigen Videospiel-Klassiker angelehnt, bei dem die Spielfigur in einem Labyrinth von Geistern verfolgt wird. Frisst sie jedoch eine ‚Kraftpille’, dreht sich das Rollenverhältnis für kurze Zeit um und die fliehende Figur wird zum Jäger der Geister. Es ist dieser unerwartete Rollenwechsel, die Veränderung von nur scheinbar festen Zuschreibungen, die Celina Gonzalez Sueyro interessiert. Sie lässt auch den Zufall gern an ihren eigenen Arbeiten mitwirken. Die von historischen Stoffmustern inspirierten Cyanotypien wurden Stück für Stück direkt auf den Galeriewänden belichtet. Das Licht und der Moment schreiben sich in die Wände ein, der Prozess hinterlässt sichtliche Spuren. Darauf angebracht sind Mostro Marino und Die Muschelmänner (beide 2017), zwei Cyanotypien des eisernen Geländers der von Schinkel entworfenen Berliner Schlossbrücke (1821-24). Zu sehen sind Ausschnitte mythologisch-maritimer Motive wie Seepferde, Muscheln und griechische Meeresgötter, die vor Ort mithilfe der Sonneneinstrahlung belichtet wurden. Das Meer als Sehnsuchtsort und als lebensbedrohliche Gefahr, das Menschen seit jeher anzieht und fasziniert, stellt ein wiederkehrendes Motiv der Ausstellung dar.
Das Spiel von Zeigen und Verbergen, das Wechseln zwischen intimer Zweisamkeit und weiter Küstenlandschaft, zwischen Innen- und Außenraum evoziert immer neue Szenarien und Atmosphären. Es eröffnet sich ein gedanklicher, visueller und physischer (Frei)Raum, in dem eigene Anknüpfungspunkte, der Prozess und der Zufall ihre Plätze finden. So entsteht ein Oszillieren zwischen Assoziationsräumen und Narrationen, ein Netz imaginierter Bezüge zwischen den Arbeiten und Referenzen aus unserem Alltag und unserem kulturellen Gedächtnis, das sich mehr und mehr verdichtet; und, wenn wir uns darauf einlassen, ein lustvolles Spiel zwischen dem Werk und uns Besucher_innen.
Isabelle Meiffert
The Spider and the Fly
Spielprinzip Pac-man
Von den Szenerien, die sich hinter den Fenstergittern und vor der Kulisse des Meeres abspielen, können wir nur kleine Ausschnitte erspähen: freudige, zärtliche, mitunter erotische Gesten wie das Streicheln eines Handrückens mit einer Feder, lustvolle Luftsprünge, ein Beinpaar – ist es gespreizt? Oder gehören die Beine unterschiedlichen Körpern an? Die Szenen der Peepholes (2017) sind reduziert und wirken in ihrer Konzentration wie Schlüsselszenen gleich mehrerer Geschichten. Kaum entspinnt sich eine Narration, kann sich das Drehbuch unserer Vorstellung durch ein neu entdecktes Detail wieder vollkommen verändern.
Die beiden Stuhlskelette der Arbeit Luv und Lee (2017) mit ihren rundlichen, an Körper erinnernde Formen und in das Holz eingeschriebenen Gebrauchsspuren wurden behutsam ausgewählt. Wenige Eingriffe und ihr besonderes Zusammenspiel von Rhythmus, Musikalität und taktilen Qualitäten haben sie zu einer poetischen Skulptur werden lassen, die ein Eigenleben zu entwickeln scheint. Sind die beiden sich langsam hin und her wiegenden Stühle platzsparend aufeinandergestapelt oder zärtlich ineinander verschlungen? Handelt es sich um ein Liebesspiel oder – vor dem Hintergrund der einsamen Meereswogen – doch nur um knarzende Stühle auf einem sich durch die Wellen bewegenden Schiff? Die Arbeiten von Celina Gonzalez Sueyro spielen mit unterschiedlichen Assoziationen und möglichen Bedeutungsebenen. Sie zelebrieren den Zustand der Uneindeutigkeit, der das Potenzial der Möglichkeit in sich birgt und unsere Vorstellungskraft herausfordert.
In der Ausstellung The Spider and the Fly begegnen wir wiederkehrenden Mustern, Netzen und Strukturen, die für Orientierung, Halt und Struktur sorgen können, repräsentativen Zwecken dienen, andererseits gar Fallen darstellen. Für die Arbeit Ouverture Océane (2017) wurde eine der ersten Seekarten von 1311 des Kartographen Pietro Vesconte in einen kleinen Nähtisch aus Holz graviert. Sie zählt zum Ursprung der modernen Navigation und zu den frühesten Dokumenten, auf denen die Küstenlinien exakt wiedergeben und so Meere und Landmassen erschlossen wurden. Die Arbeit Pac-Man (2017) ist an den gleichnamigen Videospiel-Klassiker angelehnt, bei dem die Spielfigur in einem Labyrinth von Geistern verfolgt wird. Frisst sie jedoch eine ‚Kraftpille’, dreht sich das Rollenverhältnis für kurze Zeit um und die fliehende Figur wird zum Jäger der Geister. Es ist dieser unerwartete Rollenwechsel, die Veränderung von nur scheinbar festen Zuschreibungen, die Celina Gonzalez Sueyro interessiert. Sie lässt auch den Zufall gern an ihren eigenen Arbeiten mitwirken. Die von historischen Stoffmustern inspirierten Cyanotypien wurden Stück für Stück direkt auf den Galeriewänden belichtet. Das Licht und der Moment schreiben sich in die Wände ein, der Prozess hinterlässt sichtliche Spuren. Darauf angebracht sind Mostro Marino und Die Muschelmänner (beide 2017), zwei Cyanotypien des eisernen Geländers der von Schinkel entworfenen Berliner Schlossbrücke (1821-24). Zu sehen sind Ausschnitte mythologisch-maritimer Motive wie Seepferde, Muscheln und griechische Meeresgötter, die vor Ort mithilfe der Sonneneinstrahlung belichtet wurden. Das Meer als Sehnsuchtsort und als lebensbedrohliche Gefahr, das Menschen seit jeher anzieht und fasziniert, stellt ein wiederkehrendes Motiv der Ausstellung dar.
Das Spiel von Zeigen und Verbergen, das Wechseln zwischen intimer Zweisamkeit und weiter Küstenlandschaft, zwischen Innen- und Außenraum evoziert immer neue Szenarien und Atmosphären. Es eröffnet sich ein gedanklicher, visueller und physischer (Frei)Raum, in dem eigene Anknüpfungspunkte, der Prozess und der Zufall ihre Plätze finden. So entsteht ein Oszillieren zwischen Assoziationsräumen und Narrationen, ein Netz imaginierter Bezüge zwischen den Arbeiten und Referenzen aus unserem Alltag und unserem kulturellen Gedächtnis, das sich mehr und mehr verdichtet; und, wenn wir uns darauf einlassen, ein lustvolles Spiel zwischen dem Werk und uns Besucher_innen.
Isabelle Meiffert